Andererseits wurde das jugendliche Massenpublikum auch durch Folk- und
Bluesschallplatten im Funk auf den bevorstehenden Rock n Roll
eingestimmt: Als Bill Haley 1954/55 sein „Rock Around the Clock“ anschlug,
versetzte er damit die ganze USA wie einen ungeheuren Resonanzkörper in
Schwingungen - das Land hatte gleichsam ein Jahrzehnt lang auf die
Verschmelzung von Blues und Countrymusik gewartet. Diese neue Musik füllte
somit ein gesellschaftliches Vakuum und gab einem vagen Lebensgefühl seine
Ausdrucksmöglichkeit. Die überwiegend weißen Musiker legitimierten den
Rock n Roll zunächst in der Sicht der amerikanischen Öffentlichkeit als
neue Stilrichtung. Durch seine Verwandtschaft zum Swing wurden die
Harmonie- und Hörgewohnheiten einer breiten Öffentlichkeit bedient.
Doch erst der Film „Saat der Gewalt“ von 1955, in dem es um
Jugendkriminalität an Schulen ging, brachte mit dem zweimaligen Einsatz
dieses genannten Haley-Songs weltweit den Durchbruch für diese
Musikrichtung, die von da an auch vom Musik-Establishment als Rock n Roll
bezeichnet wurde. Der explosionsartige Erfolg dieser Musik erklärt
sich aus der schon länger vorhandenen Sehnsucht nach einer eigenen
Jugendmusik, über die sich die Rebellion gegen die Elterngeneration
ausdrücken ließ. Damit wurde die Musik des Rock n Roll gleichermaßen zum
Ventil gesellschaftlicher Zwänge.
Auch die Musik wurde zunehmend wilder, lauter und aggressiver. Die ab 1956
aufkommenden, neuen Stars des Rock n Roll, wie Chuck Berry, Little
Richard, Jerry Lee Lewis oder der frühe Elvis Presley lösten mit Ihrer
Musik starke Emotionen aus und brachen mit gesellschaftlichen Konventionen
(Haarlänge, Frisur oder Provokation durch sexuelle Gesten). Dieses offen
rebellische Verhalten führte dann auch umgehend zur offenen Kontroverse
über die Rock 'n' Roll Kultur in den USA. In einer Gesellschaft, welche
noch in der Denkweise der McCarthy-Ära gefangen war, wurde der Mangel an
Kontrolle als fundamentale, gesellschaftliche Bedrohung wahrgenommen.
Zusätzlich wurde die USA erstmals von der damals erstarkenden Sowjetunion
bedroht, welche als erste Supermacht über Interkontinentalraketen verfügte
und mit Ihren Atomwaffen die USA erstmals auf Ihrem Heimatterritorium
bedrohte. Diese für den durchschnittlichen Amerikaner erschreckenden
Ereignisse verringerten die Toleranzbereitschaft für eine mögliche, neue
Jugendkultur und eine Lockerung der gesellschaftlichen Regeln. Zudem
begann in der nun boomenden Musikindustrie ein rücksichtsloser Kampf um
Stars, Veröffentlichungen und Verkaufsquoten. Man schreckte hier immer
weniger vor illegalen Handlungen zurück und brachte damit den
Rock n Roll in der Sicht einer breiten Öffentlichkeit durch Skandale mit
Kriminalität in Verbindung (Beispiel: Der Payola-Skandal). Der zunehmend
in diesem Umfeld in Mode kommende Konsum von Drogen und die dann
öffentlich kolportierten Verhaftungen taten ein Übriges (Johnny Cash, Ray
Charles, Carl Perkins). Weitere Skandale, wie die heimliche Ehe des Jerry
Lee Lewis mit seiner damals 13-jährigen Cousine erschütterten das Jahr
1958.
Der Druck der Öffentlichkeit, religiöser Organisationen, sowie staatliches
Eingreifen begrenzte oder entfernte den Rock 'n' Roll zunächst aus den
Medien und führte dann Ende der 50iger Jahre zu dessen allgemeiner
Ächtung. In dessen Folge zogen sich Stars komplett aus dem Musikgeschäft
zurück oder suchten nach einer Läuterung durch extrem angepasstes
Verhalten den erneuten Zugang zu den Massen und kommerziellem Erfolg. So
wandte sich Little Richard in der Überzeugung Rock 'n' Roll wäre vom
Teufel gemacht dem Studium der Theologie zu. Gene Vincent wanderte nach
England aus. Elvis Presley meldete sich zum Militärdienst, um seine
gesellschaftliche Akzeptanz wiederherzustellen. Nach seiner Rückkehr
"geläutert", produzierte dieser nunmehr Schlager oder Liebeslieder mit
Mainstream-Charakter. Der gleichzeitige Tod von Big Bopper, Buddy Holly
und Richie Valens bei einem einzigen Flugzeugabsturz im Jahr 1959 sowie
der Tod von Eddie Cochran 1960 leiteten den Tod des rebellischen Rock 'n'
Roll ein.
Die Suche einer immer aufgeklärter und selbstbewusster werdenden Jugend
nach Auswegen aus den damaligen Gesellschaftszwängen bestand jedoch weiter
fort. Die Wiederauferstehung des Rock 'n' Roll und seiner rebellischen
Momente wird dann der Anfang der 60iger Jahre in England entstehenden
Beatmusik zugeschrieben.
Der Rock n Roll war zu seiner Zeit nie ein homogener Stil, sondern ist
ein Sammelbegriff verschiedener, ähnlicher Musikarten gewesen. Die
Musikszene in den USA war darüber hinaus ebenfalls stark regionalisiert.
Dies hauptsächlich, weil das dominierende Massenmedium Rundfunk vorwiegend
aus lokalen Stationen bestand. Auch die Plattenindustrie war regional
organisiert, die ethnischen Subkulturen hatten ihre geografischen Nischen
mit eigenen musikalischen Traditionen, und in den Südstaaten herrschte
strenge Rassentrennung. So etablierten sich, je nach Gesellschaftsschicht, Ethik und geografischer Region, unterschiedliche Musikstile, die alle
unter Rock 'n' Roll einzuordnen sind, weil sie zwei Gemeinsamkeiten
vereint: Sie sind Ausdruck von gesellschaftlicher Rebellion und sie
wurzeln im Rhythm and Blues.